Livin' La Copa Loca
Liebe Freunde des gepflegten Ballsports,
hier als erster Post mein bisher erstes "journalistisches Werk", ein Artikel über die Copa del Rey der Saison 2019/2020 mit besonderem Fokus auf den Sensations-Halbfinalisten CD Mirandés.
Ursprünglich erschienen unter 11Freunde.de am 7.2.2020:
https://11freunde.de/artikel/livin-la-copa-loca/1406080
hier als erster Post mein bisher erstes "journalistisches Werk", ein Artikel über die Copa del Rey der Saison 2019/2020 mit besonderem Fokus auf den Sensations-Halbfinalisten CD Mirandés.
Ursprünglich erschienen unter 11Freunde.de am 7.2.2020:
https://11freunde.de/artikel/livin-la-copa-loca/1406080
Livin’ La Copa Loca
Ich habe mehr als ein Fünftel meines Lebens in Spanien verbracht.
Seit Mitte 2017 genieße ich nach einer längeren Unterbrechung wieder
das Privileg, dieses schöne Land mein Zuhause nennen zu dürfen. Und
ich bin großer Fußballfan. Das ist soweit beides nichts Besonderes,
leben doch schließlich rund 140.000 meiner deutschen Landsleute hier,
von denen wahrscheinlich eine beträchtliche Anzahl Anhänger des „Deporte
Rey“ ist, dem König des Sports, wie man ihn hier nennt. Allerdings
schaue ich mir weder Marc-André ter Stegen im Camp Nou noch Toni Kroos
im Bernabéu an. Auch unterbreche ich meinen Strandtag an der Playa de
Palma nicht für einen Besuch des mit Steve Nashs NBA-Millionen
vollgepumpten RCD Mallorca. Mein Herz schlägt seit dem
Drittligaaufstieg 2009 für den CD Mirandés aus der Kleinstadt
Miranda de Ebro im Norden des Landes.
Und als Kleinstaktionär (dazu unten mehr) und Dauerkarteninhaber stecke ich seit Saisonbeginn mitten drin in der Copa del Rey, einem Wettbewerb, dem der spanische Verband zu dieser Saison eine Generalüberholung verpasst hat. Die bisher üblichen Doppelrunden mit Hin- und Rückspielen im Europapokalmodus wurden (bis auf das Halbfinale) abgeschafft. Die unterklassigen Mannschaften bekommen zudem nun in den Einzelrunden generell Heimrecht, so wie wir es aus dem DFB-Pokal kennen. So will der Verband die Attraktivität erhöhen und es den kleinen Klubs leichter machen, so weit wie möglich zu kommen. Bislang muss man festhalten: mit Erfolg! Athletic Bilbao (9. in La Liga), Real Sociedad (8.), FC Granada (10.) und CD Mirandés (11. in La Liga 2) heißen die Halbfinalisten. Auch dank der Änderungen erleben wir momentan die vielleicht verrückteste Copa del Rey aller Zeiten.
Und als Kleinstaktionär (dazu unten mehr) und Dauerkarteninhaber stecke ich seit Saisonbeginn mitten drin in der Copa del Rey, einem Wettbewerb, dem der spanische Verband zu dieser Saison eine Generalüberholung verpasst hat. Die bisher üblichen Doppelrunden mit Hin- und Rückspielen im Europapokalmodus wurden (bis auf das Halbfinale) abgeschafft. Die unterklassigen Mannschaften bekommen zudem nun in den Einzelrunden generell Heimrecht, so wie wir es aus dem DFB-Pokal kennen. So will der Verband die Attraktivität erhöhen und es den kleinen Klubs leichter machen, so weit wie möglich zu kommen. Bislang muss man festhalten: mit Erfolg! Athletic Bilbao (9. in La Liga), Real Sociedad (8.), FC Granada (10.) und CD Mirandés (11. in La Liga 2) heißen die Halbfinalisten. Auch dank der Änderungen erleben wir momentan die vielleicht verrückteste Copa del Rey aller Zeiten.
Kein Halbfinalist hat in den letzten 30 Jahren einen wichtigen Titel gewonnen
Verrückt, weil zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt weder Barça
noch Real im Halbfinale stehen und nur noch Teams vertreten sind, die
seit über 30 Jahren keinen wichtigen Titel mehr gewonnen haben oder
gar noch nie einen Pokal in die Höhe stemmen durften. Verrückt aus
deutscher Sicht, weil im Bernabéu mit Mikel Merino und Alexander Isak
zwei beim BVB ausgemusterte Profis Real quasi im Alleingang aus dem
Wettbewerb schossen. Verrückt, weil bei Barça der Haussegen schief
hängt, nachdem Lionel Messi die sportliche Führung hart kritisiert
hatte und ebenjener Messi in der 85. Minute des Viertelfinals gegen
Athletic eine Riesenchance versemmelte, bevor Iñaki Williams das
Ding in der 94. Minute mit dem Kopf an ter Stegen vorbei ins lange Eck
bugsierte. Ebenjener Williams, von einigen Unbelehrbaren beim
Liga-Spiel gegen Espanyol rassistisch beleidigt und in der
darauffolgenden Pokalrunde in Teneriffa von den einheimischen
Fans gefeiert, obwohl er das Team quasi im Alleingang erledigte.
Und wie verrückt diese Copa Loca erst für einen deutschen Kleinstaktionär und Dauerkarteninhaber des CD Mirandés ist, das kann man nur verstehen, wenn man sich die jüngste Historie des Vereins und der Stadt etwas näher anschaut.
Und wie verrückt diese Copa Loca erst für einen deutschen Kleinstaktionär und Dauerkarteninhaber des CD Mirandés ist, das kann man nur verstehen, wenn man sich die jüngste Historie des Vereins und der Stadt etwas näher anschaut.
Welche Sensation ist sensationeller?
Denn verrückte Pokalgeschichte schreibt Mirandés nicht zum
ersten Mal. Bereits in der Saison 2011/2012 sorgte der Klub für eine
faustdicke Pokalsensation. In der Stadt wird momentan heiß darüber
diskutiert, welche „hazaña“, welche „Heldentat“,
denn nun höher einzuschätzen ist: Das Team von 2011/2012, das als
Drittligist mit Racing Santander, Villarreal und Espanyol gleich
drei Erstligisten, aus dem Wettbewerb warf (mit Hin- und Rückspiel
wohlbemerkt!) und erst im Halbfinale an Athletic Bilbao
scheiterte.
Oder eben doch das aktuelle Team, ein Zweitliga-Aufsteiger mit Mini-Etat und Athletic-Legende Andoni Iraola als Coach, der im Halbfinale 2012 selbst noch das Trikot der Basken trug und in dieser Saison aus blutjungen Leihspielern und einigen Akteuren aus der Aufstiegssaison einen sensationellen Kader formte. Dieser steht nun in der zweiten Liga im gesicherten Mittelfeld und hat ebenfalls bereits drei Erstligisten im Pokal eliminiert. Für die meisten hier in dieser von der Wirtschaftskrise gebeutelten Kleinstadt, die in den letzten zehn Jahren zehn Prozent ihrer Einwohner durch Abwanderung verlor, ist beides gleich phänomenal.
Oder eben doch das aktuelle Team, ein Zweitliga-Aufsteiger mit Mini-Etat und Athletic-Legende Andoni Iraola als Coach, der im Halbfinale 2012 selbst noch das Trikot der Basken trug und in dieser Saison aus blutjungen Leihspielern und einigen Akteuren aus der Aufstiegssaison einen sensationellen Kader formte. Dieser steht nun in der zweiten Liga im gesicherten Mittelfeld und hat ebenfalls bereits drei Erstligisten im Pokal eliminiert. Für die meisten hier in dieser von der Wirtschaftskrise gebeutelten Kleinstadt, die in den letzten zehn Jahren zehn Prozent ihrer Einwohner durch Abwanderung verlor, ist beides gleich phänomenal.
Ich persönlich bin momentan näher dran als 2012, als ich leider
nur das Achtelfinale gegen Racing live verfolgen konnte.
Dieses Jahr habe ich im Sechzehntelfinale mit Staunen von der
Tribuna Sur aus erleben dürfen, wie Rafinha Alcántara, der Bruder von
Bayern-Star Thiago im Dienste von Celta Vigo, den Ball in der 110.
Minute im eigenen Sechzehner verdaddelte und sich zu einer Notbremse
gegen Antonio Sánchez genötigt sah. Ungläubig habe ich das
gemächliche Traben und die gewisse Hüftsteifheit eines Luuk de Jong im
Achtelfinale betrachtet, dem einstigen Stürmer meiner Gladbacher
Borussia, jetzt in Diensten des FC Sevilla, der sich dazu verleiten
ließ, den Balljungen genau unter mir anzufauchen, weil der die
Kirsche aus seiner Sicht nicht schnell genug rausrückte. Und ich habe
gezittert, als am Mittwochabend Paco Alcácer im Viertelfinale
eingewechselt wurde, der ehemalige BVB-Stürmer, der ja bekanntlich
alles kurz und klein schießt, solange er denn von der Bank kommt. Aber
er biss sich die Zähne aus am sensationell agierenden
Innenverteidiger-Duo Odei/Sergio.
Ewiger Hass dem modernen Fußball
Auf die „hazaña“
im Pokal der Saison 2011/2012 folgte der erstmalige Aufstieg in die
Zweitklassigkeit. Gehörigen Anteil daran hatten die Tore des
unglaublichen Pablo Infante, der nebenbei noch einer
Vollzeittätigkeit in einer Bank nachging. Doch nach dem Delirium
folgten alsbald die ersten Kopfschmerzen, die der moderne Fußball
einem Kleinstadtklub bereitet. Die reine Stehplatztribüne, die „General“,
verantwortlich für die einzigartige Stimmung im kleinen
Anduva-Stadion, sollte weichen, da die Liga reine Sitzplatzstadien
vorschreibt. Und, mindestens genauso einschneidend: Weil die Liga
es so für Profiklubs vorschreibt, musste sich der Verein in eine SAD
umwandeln, eine Aktiengesellschaft des Sports. Dafür mussten über
zwei Millionen Euro Stammkapital aufgebracht werden. In einer von
der Krise arg gebeutelten Stadt im Prinzip ein Ding der
Unmöglichkeit.
Viele Anhänger plädierten für einen freiwilligen Rückzug und einen Neuanfang in der vierten Liga: „Odio eterno al fútbol moderno“, ewiger Hass dem modernen Fußball, skandiert man hier gern in den Stadien. In einer ersten Finanzierungsrunde wurden dann aber doch immerhin 900.000 Euro aufgebracht, vor allem durch Kleinstaktionäre. Eine beachtliche Summe für eine Stadt mit nur knapp über 35.000 Einwohnern. Auch ich leistete einen minimalen Beitrag, auf den ich sehr stolz bin.
Die noch fehlenden rund eine Million Euro wollte ein Investor aus der Stadt im Zuge einer ausländischen Investition für einen nahegelegenen Industriepark aufbringen. Als die Kohle zwölf Stunden vor Deadline jedoch immer noch nicht da war, weil sich herausstellte, dass das Angebot aus dem Ausland ein mieser Fake war, sprang der örtliche Bestattungsunternehmer Alfredo de Miguel ein. Er legte die übrigen Scheinchen auf den Tisch und verhinderte somit den Zwangsabstieg und damit möglicherweise sogar ein völliges Verschwinden des Vereins. Seitdem steht er als Präsident an der Spitze des Klubs.
Viele Anhänger plädierten für einen freiwilligen Rückzug und einen Neuanfang in der vierten Liga: „Odio eterno al fútbol moderno“, ewiger Hass dem modernen Fußball, skandiert man hier gern in den Stadien. In einer ersten Finanzierungsrunde wurden dann aber doch immerhin 900.000 Euro aufgebracht, vor allem durch Kleinstaktionäre. Eine beachtliche Summe für eine Stadt mit nur knapp über 35.000 Einwohnern. Auch ich leistete einen minimalen Beitrag, auf den ich sehr stolz bin.
Die noch fehlenden rund eine Million Euro wollte ein Investor aus der Stadt im Zuge einer ausländischen Investition für einen nahegelegenen Industriepark aufbringen. Als die Kohle zwölf Stunden vor Deadline jedoch immer noch nicht da war, weil sich herausstellte, dass das Angebot aus dem Ausland ein mieser Fake war, sprang der örtliche Bestattungsunternehmer Alfredo de Miguel ein. Er legte die übrigen Scheinchen auf den Tisch und verhinderte somit den Zwangsabstieg und damit möglicherweise sogar ein völliges Verschwinden des Vereins. Seitdem steht er als Präsident an der Spitze des Klubs.
Identitätskrise vorprogrammiert
Es folgten fünf Jahre seliger Zweitklassigkeit bis zum Abstieg
2017. Doch im Sommer 2019 gelang, etwas überraschend, der
Wiederaufstieg, der uns die Teilnahme an der diesjährigen Copa
Loca erst möglich gemacht hat.
Womit wir wieder beim Halbfinale wären, das gerade ausgelost wird, während ich diese Zeilen schreibe. Ein Halbfinale, bei dem hier in Miranda de Ebro Hunderte von Identitäskrisen vorprogrammiert sind. Denn durch die räumliche Nähe zu Bilbao und San Sebastián, die beide im Umkreis von nur 120 Kilometern liegen, sind hier diejenigen, die nicht zu Barça oder Real halten, eingefleischte Anhänger von Athletic Club oder Real Sociedad. So wackelte gestern die Decke unserer Wohnung gewaltig, als der Nachbar über uns wie ein Wahnsinniger auf- und abhüpfte, als Williams in der 94. zum Sieg einköpfte. Derselbe Nachbar übrigens, den ich bei jedem Heimspiel des CD Mirandés in voller Montur auf der Tribuna Sur sehe. Zu wem hältst du, wenn dein Dorfverein plötzlich gegen deine Kindheitsliebe im Pokalhalbfinale oder gar im Finale steht? Ich bin jedenfalls froh, dass ich den SC Preußen Borghorst wohl nie gegen meine Gladbacher im DFB-Pokal sehen werde.
Womit wir wieder beim Halbfinale wären, das gerade ausgelost wird, während ich diese Zeilen schreibe. Ein Halbfinale, bei dem hier in Miranda de Ebro Hunderte von Identitäskrisen vorprogrammiert sind. Denn durch die räumliche Nähe zu Bilbao und San Sebastián, die beide im Umkreis von nur 120 Kilometern liegen, sind hier diejenigen, die nicht zu Barça oder Real halten, eingefleischte Anhänger von Athletic Club oder Real Sociedad. So wackelte gestern die Decke unserer Wohnung gewaltig, als der Nachbar über uns wie ein Wahnsinniger auf- und abhüpfte, als Williams in der 94. zum Sieg einköpfte. Derselbe Nachbar übrigens, den ich bei jedem Heimspiel des CD Mirandés in voller Montur auf der Tribuna Sur sehe. Zu wem hältst du, wenn dein Dorfverein plötzlich gegen deine Kindheitsliebe im Pokalhalbfinale oder gar im Finale steht? Ich bin jedenfalls froh, dass ich den SC Preußen Borghorst wohl nie gegen meine Gladbacher im DFB-Pokal sehen werde.
Der Präsident als Losfee
Mein Nachbar von oben kann sich aber erstmal entspannen. Gerade in
diesem Moment wurde uns in der RFEF-Zentrale in Madrid Real Sociedad
als Gegner zugelost. Dafür werde ich dann meinen Kumpel Sergio in der
REALE-Arena und in Anduva neben mir leiden sehen – er hält es
eigentlich mit den Txuri-Urdin aus der nordspanischen Küstenstadt.
Das Los gezogen hat kurioserweise unser Präsident Alfredo de
Miguel höchstpersönlich. Dieser sorgte übrigens auch quasi
eigenhändig dafür, dass man mich nach dem 2:1‑Siegtreffer in der 114.
Minute des Sechzehntelfinals gegen Celta Vigo auf den
DAZN-Zusammenfassungen praktisch allein jubelnd über die nahezu
leeren Ränge der Tribuna Sur laufen sieht. Für dieses Spiel mussten
Dauerkarten-Inhaber nämlich zusätzliche 20 Euro berappen. De Miguel
hatte die Anhänger daraufhin mit der Aussage aufgebracht, dass die
neue Flutlichtanalage sich ja nicht von selbst finanziere und dass
man halt zuhause bleiben solle, wenn es einem nicht passe. Als Quittung
nahmen ihn einige Hundert der Treuesten beim Wort.
Im Halbfinale kann er jedoch sicher sein, dass die 5.700 Plätze im „Fußballkicker“, wie die Fans von Real Zaragoza das kleine Anduva-Stadion kürzlich titulierten, restlos besetzt sein werden. Und mittendrin ein deutscher Kleinstaktionär und Dauerkartenbesitzer. Livin‘ La Copa Loca! Gewinnt Mirandés, spielen wir nächste Saison im Supercup – dank einer weiteren Änderung übrigens in Saudi-Arabien. Qué grande es el fútbol!
Im Halbfinale kann er jedoch sicher sein, dass die 5.700 Plätze im „Fußballkicker“, wie die Fans von Real Zaragoza das kleine Anduva-Stadion kürzlich titulierten, restlos besetzt sein werden. Und mittendrin ein deutscher Kleinstaktionär und Dauerkartenbesitzer. Livin‘ La Copa Loca! Gewinnt Mirandés, spielen wir nächste Saison im Supercup – dank einer weiteren Änderung übrigens in Saudi-Arabien. Qué grande es el fútbol!
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