Deutsche in Spanien gegen Spanier in Deutschland – Wie sieht die Zukunft der Legionäre nach Corona aus?




Zeitvertreib in der Quarantäne – Wer würde die Partie gewinnen? Die in Spanien spielenden Deutschen oder die in Deutschland spielenden Spanier?
Seit über drei Wochen sperrt uns nun schon ein aus China importiertes Virus mit dem Namen eines mexikanischen Bieres in die eigenen vier Wände ein. Oder ist es doch eher Präsident Sánchez, der uns so unerbittlich den Ausgang verweigert? Wie dem auch sei, die medizinische Notwendigkeit unseres Lockdowns ist unbestritten. Und da Meckern nun mal bekanntlich wenig hilft und zu unnötigen gelben Karten führt (auf dem Platz vom Schiri und im ehelichen Domizil vom Ehepartner), lässt man halt seine Gedanken gelegentlich kreisen in der ganzen Zeit, die man plötzlich für Kopfkino über hat. Als Fußballbegeisterter kann man sich da schon mal die Frage stellen, wer denn eigentlich ein hypothetisches Aufeinandertreffen deutscher Legionäre in Spanien und spanischer Legionäre in Deutschland gewinnen würde. Warum? Warum nicht!?

Um überhaupt zwei Mannschaften zusammen zu bekommen, musste ich mich dafür erstmal vom Gedanken verabschieden, nur derzeit aktive Spieler aufzustellen. Irgendwie wäre es sicher möglich, elf Kicker mit deutschem Pass in den obersten drei spanischen Ligen und andersherum in der 1. bis 3. Bundesliga elf Spanier ausfindig zu machen. Das Problem ist: 80 % würde dann ja kein Mensch kennen. Also mache ich ein schnelles Brainstorming bis zurück in die wilden Siebziger. Dabei heraus kamen die beiden taktischen Aufstellungen im Bild oben, die weder einen Anspruch auf Vollständigkeit haben, noch den Eindruck erwecken sollen, dass das wirklich die jeweils elf Besten ihrer Zunft sind bzw. waren.

Was hätte Bianca Illgner wohl dazu zu sagen, dass ich statt ihrem Gatten diesen Jüngling von Barca zwischen die Pfosten stelle? Ist Gerhard Poschner nicht vielleicht doch der begnadetere Fußballer als Toni Kroos? Würde das Mittelfeldduo Netzer/Schuster nach 90 Minuten eine Laufleistung im zweistelligen Kilometerbereich aufweisen können? Zusammen wohlbemerkt?

Die Aufstellung der Spanier teste ich mit spanischen Bekannten, in einer großen WhatsApp-Gruppe mit über 40 Fußballverrückten. Es kommt, wie es kommen muss: Ich werde in der Luft zerrissen.
"Also, mit Thiago und Mikel Merino in der Startelf hätten wir etwas bessere Chancen..."

Verdammt, wie konnte ich die bloß vergessen? Stattdessen stelle ich Bojan auf, an den sich in Spanien quasi niemand mehr erinnert. Aber irgendwie hat sich bei mir das Bild des ehemaligen Barca-Juwels im Trikot des Karnevalsvereins aus dem Rheinland-Pfälzischen eingebrannt. War ja auch nur ein schnelles Brainstorming, eine Spinnerei. Belassen wir es dabei.

Wie so häufig bei solchen spontanen Hirnauswüchsen frage ich mich dann aber doch: Warum sind die Spanier eigentlich alle noch (relativ) jung und bis auf wenige Ausnahmen noch aktiv? Viele der Deutschen hingegen haben (mit Verlaub) ihre besten Jahre lange bzw. schon seit Jahrzehnten hinter sich.

Und dann merke ich, dass sich an meinen Aufstellungen die Entwicklung des (kommerziellen) Fußballs in Deutschland und Spanien der letzten 40 Jahre oder mehr ablesen lässt.

Die absoluten Superstars aus dem Deutschland der 70er- und 80er-Jahre versuchten ihr Glück in Spanien oder Italien. Das lag sicherlich auch am schönen Wetter und der sportlichen Perspektive, besonders auf internationaler Ebene. Vor allem aber war es darauf zurückzuführen, dass die großen spanischen Clubs, allen voran die beiden ewigen Rivalen Barca und Real, Gehälter zahlten, die um Lichtjahre über denen in der Bundesliga lagen. Ein Herr Netzer hatte die Wahl: Weiter mit dem Mercedes vor der Lover's Lane parken oder geschmeidig mit dem Ferrari vorfahren?
Und so kommt es, dass acht meiner elf Deutschen bei den beiden großen spanischen Clubs unter Vertrag standen.

Andersherum verirrte sich natürlich kaum ein Spanier in die biedere Bundesliga. Wenn schon wenig Geld verdienen, dann lieber zu Hause. Wenn nicht Barca oder Real, dann lieber Sevilla oder Bilbao statt Bayern oder Gladbach.

Dies änderte sich erst nach der großen globalen Finanzkrise 2008, die Spanien bekanntermaßen in besonderem Ausmaß traf. Auch der professionelle Fußball litt. In der Finanznot kamen Gehälter zu spät oder gar nicht. Der spanische Staat drückte bei den großen Clubs gern mal ein Auge zu, wenn Steuern oder Sozialversicherungsbeträge auf sich warten ließen. Bei den mittleren und kleinen Vereinen war man nicht so großzügig. Und so kam es, dass plötzlich gar nicht wenige Profis den Blick nach Deutschland richteten. Moderne Stadien (das Sommermärchen war ja gerade erst ein paar Jahre her), volle Häuser, beste Stimmung.
Und vor allem: Die Gehälter kamen pünktlich und zuverlässig, wenn sie auch durchaus niedriger ausfielen als in der Heimat. Das Angriffstrio aus meiner spanischen Elf stellte ein Art Vorhut dar: Der große Raúl, Manuel Jurado und Sergio Escudero kamen bei Schalke 04 unter, das viele der Sehnsüchte der Spieler vereinte: Erstklassiges Stadion, verrückte Fans, finanzkräftiger Sponsor, international quasi jede Saison dabei.
Und so folgten über die Jahre zahlreiche Fußballer dem Trio, bis ein gewisser Pep Guardiola in München aufschlug und plötzlich auch richtige Stars im besten Fußballeralter mit nach Deutschland brachte: Thiago, Xabi Alonso. Javi Martínez war schon früher Jupp Heynckes gefolgt, der ja bekanntermaßen selbst mehr Baske als Rheinländer ist.

Dass Profi-Fußballer Geldströmen folgen – weg von der Krise, hin zur Sicherheit bzw. dorthin, wo es mehr zu holen gibt – ist nichts Neues und durchaus legitim. Angesichts der derzeitigen gesundheitlichen Krise, die zweifelsohne eine fette Krise wirtschaftlicher Natur nach sich ziehen wird, stellt sich für mich die Frage, wie meine beiden Teams wohl in 20 Jahren aussehen.
Zumal ja auch schon in vier Jahren wieder ein großes Turnier in Deutschland ansteht, das die deutschen Stadien in den Fokus rücken sollte, ähnlich wie es damals das Sommermärchen vollbrachte. "It's all just a little bit of history repeating", um es mit den Propellerheads auszudrücken?

Erleben wir nach der Coronakrise wieder eine Welle "spanischer Einwanderung" in den Bundesligamarkt? Folgen die neuen Ter Stegens und Toni Kroos dem Beispiel ihrer Vorbilder? Werden die beiden großen spanischen Clubs weiterhin die finanzielle Power haben, die besten deutschen Spieler anzuziehen?

Die Fußballwelt steht vor riesigen Veränderungen. Aber wen interessiert's, wenn man seit drei Wochen nicht mehr auf die Straße darf? Es gibt Wichtigeres, keine Frage.
Trotzdem hat der Fußball die Kraft, einen auch in fußballlosen Zeiten mit solchen Gedankenspielen abzulenken. Meine Herren, was für ein geiler Sport!


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