Von Valdebebas nach Villingen

Pablo Gil im Einsatz
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Dieses Interview erschien auch bei 11 Freunde:
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Was macht ein ehemaliger U19-Europameister aus Spanien bei einem abstiegsbedrohten Regionalligisten von der Schwäbischen Alb?


Pablo Gil ist definitiv nicht die Sorte Fußballprofi, die ein ganzes Monatsgehalt im Phrasenschwein versenken würden. Seine Meinung sagt er klar und deutlich, seine Aussagen sind überlegt und sachlich, aber gleichzeitig emotional. Ausbalanciert. Dennoch trifft eine dieser inflationär verwendeten Fußballer-Phrasen auf ihn zu wie auf kaum jemanden anderen: Er hat alle Höhen und Tiefen erlebt. Vielleicht sogar viel mehr Tiefen als Höhen? Das ist wohl eine Frage der Perspektive.

2007 reckt er mit der spanischen U19-Nationalmannschaft die EM-Trophäe in den Wiener Nachthimmel. Im Turnierverlauf bestreitet er alle fünf Spiele. Mit ihm auf dem Rasen: Javi Martínez, Juan Mata oder César Azpilicueta. Auch beim Turnier dabei: Jerome Boateng, Mesut Özil oder Yann Sommer.

13 Jahre später zieht Javi Martínez als ehemaliger Rekordtransfer der Bundesliga weiter an der Säbener Straße seine Kreise, während Pablo Gil gute 200 km entfernt bei der TSG Balingen einen scheinbar aussichtslosen Kampf gegen den Abstieg aus der Regionalliga Südwest führt. Mit seinen mittlerweile 31 Jahren war er Fußballprofi in drei Ländern, hat Sport auf Lehramt studiert, ist ausgebildeter Ernährungsberater, besaß in Madrid ein eigenes Fitnessstudio und kennt sich in der Welt der Finanzanlagen aus. Genug Stoff, um die Vitae einer gesamten Fußballmannschaft zu füllen.
Was auf dem Weg vom Triumph in Wien über Real Madrid, Sparta Prag und den FC Villingen zur TSG Balingen so alles passiert ist, und warum die Corona-Krise ihn nicht nur beruflich, sondern auch privat hart getroffen hat, darüber habe ich mit ihm gesprochen.


Pablo Gil, natürlich die erste Frage in diesen Zeiten: Wie geht es Ihnen momentan, beruflich und privat?
Meine Frau und ich sind dankbar, dass wir hier in Deutschland sein können, wo wir uns sehr sicher fühlen, die Ausgangssperren nicht so strikt sind wie in Spanien und das Virus nicht ganz so extrem zugeschlagen hat. Mich hat die ganze Geschichte leider voll erwischt: Meine Großmutter ist an COVID-19 gestorben und mein Großvater wurde gerade positiv getestet. Das Unmenschlichste am Sterben dort ist allerdings, dass maximal drei Leute zu Beerdigungen kommen dürfen. Mein Vater hat drei Brüder, also durfte einer sich nicht von seiner Mutter verabschieden. Das alles 2.000 km von Zuhause entfernt erleben zu müssen, ist schon heftig. Was das Berufliche betrifft: Seit dem 11. März bin ich in Kurzarbeit, wie so viele andere Menschen auch. Momentan hängt alles davon ab, was die Regionalverbände entscheiden, wie – und ob – die Saison weitergehen soll. Seit dieser Woche dürfen wir wieder individuell trainieren. Meine Frau arbeitet hier in Balingen im Krankenhaus und hat momentan natürlich ordentlich zu tun. Sie war als Vorsichtsmaßnahme einen Monat krankgeschrieben, aber der Test fiel glücklicherweise negativ aus.

Langweilen Sie sich?
Langeweile kommt bei mir in der Kurzarbeit nicht auf. Letztens wurden im Krankenhaus, in dem meine Frau arbeitet, Helfer in der Apotheke gesucht. Also habe ich mich als Freiwilliger gemeldet und bei der Medikamentenausgabe mitgeholfen.

Sie sind fußballerisch in Albacete groß geworden, dem Heimatverein von Andrés Iniesta. Wie waren Ihre Anfänge und wann haben Sie gemerkt, dass es mit dem Profisport klappen könnte? Wir sind nach Albacete gezogen, als ich acht Jahre alt war. Damals habe ich nur in der Schule Hallenfußball gespielt. Ich bin dann einfach mal zu einem Probetraining bei „Alba“
gegangen und wurde angenommen. Bis zur A-Jugend habe ich alle Kategorien beim Verein durchlaufen.

Mit der A-Jugend gewannen Sie die Copa del Rey und steuerten beim 2:1-Sieg im Finale gegen Valencia sogar ein Tor bei – als Innenverteidiger. 
Das war natürlich ein toller Erfolg und da fing es dann an, dass ich etwas stärker in den Fokus rückte. Kurz darauf wurde ich zur U19-Nationalmannschaft berufen, obwohl ich davor noch in keiner Auswahl gespielt hatte und gehörte zum Kader der U19-EM in Österreich.

Wie haben Sie das Turnier in Erinnerung?
Ein absoluter Traum. Ich stand in allen fünf Spielen der Endrunde von der ersten bis zur letzten Minute auf dem Feld und wurde von der Marca zum Verteidiger mit den besten Zukunftsaussichten meines Jahrgangs gewählt. Man muss sich dabei vor Augen führen, dass ich noch nie in meinem Leben in der Außenverteidigung gespielt hatte, sondern immer Innenverteidiger. Vor dem ersten EM-Spiel hieß es plötzlich: Du spielst jetzt rechter Verteidiger. Von daher lief es also nicht wirklich schlecht!

Mit Ihnen auf dem Feld standen damals zum Beispiel Javi Martínez und Juan Mata. Haben Sie noch Kontakt zu den Teamkollegen von damals?
Ich bin da vielleicht etwas anders als andere in der Branche. Ich habe sehr gern Kontakt mit Menschen, aber nicht so gerne in ihrer Rolle als Fußballer. Ich hatte mit Javi Martínez zum Beispiel keinen Kontakt mehr und dann gehe ich jetzt nicht einfach hin und sage: Javi, was geht denn so, ich wohne jetzt 200 km von dir entfernt, kann ich ein paar Eintrittskarten kriegen? So etwas habe ich noch nie gemacht. Und dabei muss ich sagen, dass ich besonders zu Javi Martínez einen richtigen guten Draht hatte während des Monats, den wir zusammen verbracht haben. Unsere Eltern sind gemeinsam nach Österreich gereist und haben den ganzen Monat miteinander verbracht. Trotzdem habe ich jetzt mehr mit den Leuten von damals zu tun, die es im Fußball nicht so weit gebracht haben. Wenn ich Javi noch mal wiedersehen würde, würde ich mich aber riesig freuen.

Javi Martínez war der teuerste Transfer der Bundesligageschichte, Juan Mata schnürt für Manchester United die Stiefel, Azpilicueta spielt bei Chelsea. Ein bisschen neidisch wird man da doch schon, oder?
Nein, überhaupt nicht. Ich empfinde da höchstens Bewunderung. Jeder hat mit seinen eigenen Umständen zu kämpfen und geht seinen eigenen Weg. Wer neidisch ist, hat gleich zwei Probleme auf einmal: Er kann sich an seinem eigenen Weg nicht erfreuen, aber auch nicht am Weg der anderen. Wenn ich mich an die Jungs von damals erinnere, kommt mir eher José Zamora in den Sinn, der mit 21 Jahren nach drei schweren Knieverletzungen seine Karriere beenden musste. Ob da jetzt einer mehr oder weniger Kohle macht, ist mir eigentlich egal. Mir ist wichtiger, dass ich jemanden einfach mal anrufen kann, um über alles andere außer Fußball zu sprechen.

Ein Jahr in der Premier League und man ist quasi aller Sorgen ledig… 
Oder eben nicht! Wenn du eine Million im Monat verdienst, ist natürlich erstmal alles ein bisschen leichter, finanziell gesehen. Die Leute bekommen aber ihre Familien gar nicht mehr zu Gesicht. Wenn man auf dem Niveau spielt, ist es ja mit zwei Stunden Training am Tag nicht getan. Ist man europäisch dabei, wohnt man quasi im Hotel. Ich habe das ja selbst erlebt. Und dann gibt es da noch eine Ebene, die bei der ganzen Sache viel bedeutender ist als das Geld: Die ganze Zentriertheit auf die Berühmtheit. Irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem man ständig jemanden um sich herum benötigt, der einem sagt: Du bist gut. Du bist schön. Du bist jeden Cent wert. Aber was passiert, wenn du aufhören musst, oder wenn du dich verletzt? Auf diese Frustration ist niemand, aber wirklich niemand, mental vorbereitet. Die Fallhöhe ist einfach unglaublich viel höher als bei einem ganz normalen Job. Das kannst du mit keinem Geld der Welt aufwiegen.

Wie lief es nach dem Turnier im Verein?
Der Traum ging weiter. Ich wurde als 18-jähriger in Albacete in die Profimannschaft hochgezogen und spielte 2. Liga. Und da fing dann quasi ein neues Leben an, das Leben als Fußballprofi. Durch den EM-Titel waren natürlich so einige Leute auf mich aufmerksam geworden. In meinen drei Jahren dort habe ich etwa 50 Spiele absolviert, das war für einen so jungen Spieler schon beachtlich. Im Winter des dritten Jahres hieß es dann plötzlich, dass man meinen Vertrag, der im Sommer auslief, nicht mehr verlängern wollte. Das war schwer zu verdauen. Die ganze Zeit hatte ich mich als wichtig für den Verein empfunden und plötzlich hieß es: Es reicht nicht mehr. Glücklicherweise bin ich schon immer zweigleisig gefahren und hatte neben der Profikarriere studiert. Ich habe dann den Fokus auf das Studium gelegt und konnte in der Rückrunde bei Albacete mit freiem Kopf aufspielen.

Das scheint ganz gut geklappt zu haben. Plötzlich hatten Sie jemanden von Real Madrid an der Strippe.
Ich habe dem gesagt: Ich glaube, Sie haben sich verwählt (lacht). Aber zwei Tage später saßen wir dann zusammen und man hat mir einen Vertrag für die Castilla [zweite Mannschaft von Real Madrid] angeboten. Ich habe dann nicht lange überlegt und unterschrieben. Die erste sieben Spiele bin ich dann erstmal überhaupt nicht zum Zuge gekommen. Ich lief zu der Zeit mal mit einem Teamkollegen über den Trainingsplatz und der meinte zu mir, dass ich doch bestimmt jetzt einen neuen Verein suchen würde, weil ich einen Schritt zurück von der 2. Liga in die Segunda B [3. Liga] gemacht hätte und jetzt auch noch auf der Bank säße. Das habe ich überhaupt nicht verstanden. In Wirklichkeit war es für mich so, als würde ich mit 21 Jahren die Chance bekommen, eine Art Master-Studium in Fußball zu absolvieren. Da habe ich keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, wegzugehen. Ich hatte für zwei Jahre unterschrieben, und das, was ich bei Real lernen konnte, das könnte mein Leben verändern. Die ganze Infrastruktur, die Qualität des Trainings. Es ist quasi ständig jemand verfügbar, der bei allem hilft und unterstützt. Das ist eine andere Welt.

In Ihrem zweiten Jahr dort gelingt der Aufstieg in die 2. Liga und Ihre bis dahin ziemlich geradlinige Karriere nimmt eine erste interessante Wendung: Es zieht Sie zu Sparta Prag in die erste tschechische Liga. Wie kam das zustande?
Mein Vertrag in Madrid war ausgelaufen und ich war gerade im Urlaub. Plötzlich ruft mich mein damaliger Berater an und erzählt mir, ich hätte ein Angebot aus der Tschechischen Republik. Da hab ich erstmal abgewunken, ich kam ja schließlich gerade von Real Madrid. Da wollte ich schon mindestens wieder in die 2. Liga in Spanien. Mein Berater meinte dann aber, dass es sich um einen absoluten Traditionsverein handeln würde, der außerdem Europa League spielt. Ich stand also vor der Wahl, in einem großen Land in einem kleinen Verein zu spielen, oder in einem kleinen Land bei einem richtig großen Verein. Ich bekam dann ein Angebot und mir wurde gesagt, ich müsse schon am nächsten Tag hin. Da musste ich erstmal schlucken, habe es aber durchgezogen und für drei Jahre unterschrieben.

Wie war die Erwartungshaltung bei Sparta Prag? Die tschechische Liga zieht nicht gerade viele ausländische Profis an und noch seltener jemanden, der bei Real Madrid ausgebildet wurde.
Bei mir war die Vorfreude riesig, ich hatte große Lust auf die Herausforderung. Die Erwartungshaltung war enorm, vonseiten der Fans, des Clubs und der Presse. Noch größer waren allerdings meinen eigenen Erwartungen an mich. Für mich war das der wichtigste Sprung meines Lebens. Wenn ich zurückblicke, war es aber auch die schwierigste Zeit in meinem Leben. Sie wurden an diverse Clubs weiterverliehen. War der Druck zu groß? Ich war als Schlüsselspieler verpflichtet worden und kam auch gleich zum Einsatz. Nach so vielen Jahren und mit der Erfahrung, die ich jetzt habe, kann ich sagen: Ich war darauf mental überhaupt nicht vorbereitet. Ich habe einen völlig anderen Fußball vorgefunden: sehr physisch, quasi ohne taktische Ordnung. Dazu kam noch die Sprachbarriere. Ich habe so eine Art mentale Blockade bekommen, die mich auch körperlich beeinträchtigt hat. In der 60. oder 70. Spielminute war ich körperlich plötzlich absolut platt, nichts ging mehr. Da hat sich der Club natürlich bei mir erkundigt, was los ist. Aber ich konnte denen nur sagen: Keine Ahnung, ich bin körperlich topfit. Damit fing der Teufelskreis an. Ich meinte, dass ich einfach mehr trainieren müsste und habe Extraschichten eingelegt, teilweise zwei Stunden lang, nach dem regulären Training. Ich wollte einfach die Erwartungen erfüllen, die in mich gesetzt wurden und die ich selbst mir selbst gesetzt hatte.

Wie sind Sie mit dieser schwierigen Situation umgegangen?
Ich habe mit dem Coach gesprochen und er hat mich super unterstützt. Er sagte: Du hast hier drei Jahre Vertrag. Hab Geduld mit dir selbst, gib dir Zeit. Davon wollte aber nichts wissen. Mein Kopf sagte mir: Du kommst von Real Madrid, du kannst hier nicht jede Woche auf der Bank sitzen. Im Winter habe ich mich mit dem Coach zusammengesetzt und ihm gesagt, dass ich weg wollte. Ich wollte nach Hause, zu Albacete, zurück in meine Komfortzone. Das hat der Trainer abgelehnt, weil Albacete damals in der 3. Liga spielte. Er bot mir an, mich an einen Erstligisten in Tschechien oder Österreich oder in die 2. Liga nach Deutschland zu verleihen. Das wollte ich auf keinen Fall. Kurz vor Transferschluss kam man wieder auf mich zu und fragte mich, wie ich mir das Thema Geld vorgestellt hätte, ein spanischer Drittligist hätte ja schließlich kaum Budget. Da habe ich gesagt: Ist mir egal, ihr müsst mir nichts bezahlen. Ich will einfach nur meinen Kopf frei bekommen.

Sie sind dann tatsächlich nach Albacete verliehen worden. Hat es geklappt, den Kopf freizubekommen?
Ich habe angefangen, mit einem Sportpsychologen zu arbeiten. Das war ein Weg, den ich mir früher so nicht vorstellen konnte. Psychologen sind schließlich was für Verrückte, hört man ja häufig. Mir hat die Zusammenarbeit enorm geholfen. Die Saison haben wir um den Aufstieg mitgespielt, ihn aber knapp verfehlt.

Danach ging es zurück nach Prag?
Genau. Ich stieg in die Saisonvorbereitung ein, mein zweites Jahr im Verein. Und ich legte richtig gut los. Wir hatten uns als Meister für die Qualifikation zur Champions League qualifiziert. Sie wurden dann von einer schweren Verletzung zurückgeworfen. Kurz vor der Kaderberufung verletzte ich mich. Die Beschwerden gingen einfach nicht mehr komplett weg, und so wurde ich wieder in die Segunda B nach Spanien verliehen. Aber auch dort hatten die Beschwerden kein Ende. Eines Tages stand ich morgens auf und mein rechtes Bein fühlte sich komplett taub an. Nach acht Monaten und nach der Arbeit mit zig Spezialisten sagte mir schließlich einer, dass ich in Prag einen Abriss des Gesäßmuskels erlitten hatte, und dabei wurde der Ischiasnerv beschädigt. Ich wurde operiert und begann mit der Reha. Sechs Monate später war ich mit meinem Vater in einem Park in Albacete unterwegs und er meinte, komm, wir probieren mal zu rennen. Er lief los, ich hinter ihm her. Nach ein paar Metern bin ich stumpf umgefallen. Da brach ich erstmal in Tränen aus. Ich war 24 Jahre und mein Körper war schließlich mein Kapital.

Sie waren also bereits operiert worden, aber die Operation hatte nichts gebracht. Waren da überhaupt noch Spezialisten über, die Sie noch nicht konsultiert hatten?
Einer davon war der Teamarzt von Betis Sevilla. Er hat mich untersucht und sagte, so eine Verletzung mit so einem extremen Abriss habe er in seiner Laufbahn bisher erst einmal gesehen, und zwar bei einem 100-Meter-Sprinter, also jemandem, der ständig explosive Bewegungsabläufe macht. Ihm war völlig rätselhaft, wie das passieren konnte. Mir ehrlich gesagt auch. Das war beim Aufwärmen passiert und die erste Hälfte des Spiels in Prag hatte ich sogar noch gespielt! Ich kam erneut unters Messer. Dabei kam heraus, dass die Verletzung nach der ersten Operation falsch verheilt war. Es musste also alles erneut abgerissen und zusammengenäht werden. Der Arzt ging von einer Reha von 14 Monaten aus. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits acht Monate lang pausieren müssen.

So eine lange Pause bedeutet häufig das Aus einer Profikarriere. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich musste mein komplettes Leben umstellen. Als erstes habe ich mit den Leuten bei Sparta gesprochen und ganz klar gesagt: Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder spielen kann. Lasst uns lieber einen Schlussstrich ziehen. Wir haben den Vertrag dann nach dem zweiten Jahr aufgelöst.

Sie sind insgesamt also bei Sparta in zwei Jahren also sehr selten zum Zuge gekommen. Welche Partie ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Mein letztes Spiel für Sparta war in der Europa League bei Athletic Bilbao, das letzte Europapokalspiel im alten San Mamés. Ich sollte von Anfang an spielen, aber da habe ich schon die Verletzung bemerkt und konnte nicht auflaufen. Mein nächstes Spiel habe ich 25 Monate später gemacht. In der Tercera División (vierte Liga) vor 150 Zuschauern auf Kunstrasen. Das musste ich persönlich erstmal verarbeiten. Das letzte Mal sollte ich vor 50.000 Zuschauern auflaufen und jetzt stehe ich hier und kicke vor 150 Leuten. Ich war immer noch derselbe wie damals in Bilbao, habe mich aber umgeschaut und gesehen, dass sich alles verändert hat.

Eine Art Schlüsselmoment?
Absolut. In dem Moment war mir bewusst, dass ich nochmal alles versuchen wollte. So weit, wie es irgendwie geht und solange mein Körper nicht sagt: Bis hierher und nicht weiter. Und so halte ich es bis heute. Was mein Kopf sagt, gilt nur so lange, wie mein Körper nichts dagegen hat. Ich war dann bei verschiedenen unterklassigen Vereinen in Spanien unter Vertrag.

Wie sind Sie da aufgenommen worden? Als Spieler mit Ihrer Vergangenheit muss man in der dritten oder vierten Liga sicher ordentlich einstecken.
Außer einem Kampf gegen die Gegenspieler war es auch ein Kampf gegen die Gesetze des Fußballmarktes. In Mérida zum Beispiel bat mich der Sportdirektor zum Gespräch und sagte mir, man hätte sich mehr von mir erwartet. Da habe ich ihm gesagt: Ich weiß, was du willst. Du willst den Spieler, der ich bei Real Madrid war oder bei Sparta. Das kannst du vergessen. Vor 18 Monaten konnte ich nicht mal laufen! Wenn ich noch auf dem Niveau spielen könnte, das ich damals hatte, wäre ich logischerweise gar nicht hier.

Sie haben sich dann nebenbei eine Karriere aufgebaut.
Mein Studium hatte ich in der Tasche, nebenbei hatte ich mich noch zum Ernährungsberater ausbilden lassen. Ich habe dann in Madrid ein Fitnessstudio eröffnet, mich ganz der Geschäftsentwicklung gewidmet und nebenbei bei Inter Madrid gespielt, einem Viertligaclub, der ganz in der Nähe neu gegründet wurde.

Das hört sich ja erstmal ganz erträglich an. Wie kam es dann dazu, dass Sie zu einem Oberliga-Aufsteiger nach Deutschland wechselten?
Uns ging es gut, wir hatten uns in Madrid ein Leben aufgebaut. Ich hatte das Studio und den Fußball, meine Frau war berufstätig. Plötzlich meint mein Berater, es gäbe ein Angebot aus der 5. Liga in Deutschland. Das konnte ich mir natürlich erstmal überhaupt nicht vorstellen. Die Leute vom FC Villingen waren aber sehr hartnäckig und haben mich direkt zum Probetraining eingeladen. Ich wollte gar nicht hin, aber meine Frau sagte: Nimm dir vier Tage Urlaub, flieg hin, dann lernst du Deutschland kennen, kickst ein bisschen und wieder nach Hause! Ich bin also hin und nach dem Training kommen der Präsident und der Trainer auf mich zu und meinen: Was müssen wir tun, damit du zu uns kommst? Da habe ich nur mit dem Kopf geschüttelt. Auf keinen Fall. Ich muss zurück, ich habe da ein Unternehmen, alles ist in Madrid. Ich bin also wieder zurück, aber die haben einfach nicht locker gelassen. Ich habe meinem Berater gesagt: Das geht gar nicht, die sind gerade von der Verbandsliga in die Oberliga aufgestiegen. Mein Berater meinte: Die machen dir einen Profivertrag, als einzigem Spieler im Kader. Für deine Frau wird eine Arbeit organisiert. Du musst dich um nichts kümmern, die machen alles für dich. Ich bin da ganz ehrlich. Da habe ich zum ersten Mal seit langem wieder gespürt, dass ein Verein mich wirklich haben wollte, und das hat gut getan. Also habe ich das Studio dicht gemacht, wir haben uns ins Auto gesetzt und sind nach Deutschland gekommen.

Wie war das erste Jahr in Villingen?
Meine Frau und ich konnten die Sprache ja noch nicht mal. Aber wir haben eine tolle Stadt vorgefunden, in der ich auf einmal eine Art Idol war. Alle haben sich fantastisch um mich gekümmert. Und man hat mir die Chance gegeben, mit 29 Jahren und bei meiner Vorgeschichte nochmal wieder vom Fußball leben zu können. Das war unglaublich. Auf dem spanischen Markt war ich ja schon als verletzungsanfällig gebrandmarkt.

Im Ausland waren Sie schon einmal gescheitert, damals bei Sparta Prag. Warum waren Sie sich sicher, dass es in Deutschland klappen würde?
Weil meine ganze Einstellung von vornherein anders war. Ich hatte mir fest vorgenommen, die Sprache zu lernen und auf keinen Fall wieder so schnell aufzugeben wie in Prag. Die Sprachbarriere sollte nicht noch mal der Grund dafür sein, dass ich in die ganze Lebensphilosophie, die ganze Fußballphilosophie und die Art zu arbeiten nicht eintauchen konnte.

Sie hatten mit dem Team aus Villingen direkt sportlichen Erfolg, das hat sicher auch geholfen.
Klar. Wir haben uns als Liganeuling direkt für die Aufstiegsrunde qualifiziert, sind dann aber leider gescheitert. Die Oberliga wurde mir dann aber doch etwas zu klein und deshalb habe ich mich nach Alternativen umgeschaut. Ich hatte mehrere Angebote aus der Regionalliga, unter anderem aus Frankfurt und Homburg.

Ihr nächstes Ziel war dann Ihr aktueller Club, die TSG Balingen. Die erste Saison lief ganz gut, aber diese Saison sieht es nicht so rosig aus. Sie liegen 17 Punkte vom rettenden Ufer entfernt auf einem Abstiegsplatz.
In meinem ersten Jahr haben wir die Klasse gehalten. Ich habe das Angebot erhalten, meinen Vertrag um ein weiteres Jahr zu verlängern und musste da mit meinen 30 Jahren nicht lang überlegen. Die erste Saison habe ich trotz einer Knieverletzung durchgespielt, musste aber nach der Saison unters Messer. Acht Monate lang bin ich dann ausgefallen bis kurz nach Weihnachten. Ich war gerade wieder eingestiegen, da ging die aktuelle Problematik los.

Haben Sie noch Hoffnung auf dem Klassenerhalt?
Unmöglich ist ja bekanntlich nichts, aber sportlich dürfte das äußerst schwierig werden. Wir warten jetzt natürlich gespannt darauf, was der Verband entscheidet. Ein Saisonabbruch mit Aufsteigern aber ohne Absteiger wäre für uns natürlich optimal.

Wie sieht Ihre Zukunft im Verein aus?
Für den Club ist es momentan natürlich finanziell schwierig. Eventuell bin ich ab Sommer vereinslos, da der Verein möglicherweise mein Gehalt nicht mehr stemmen kann. Das hat man mir von Beginn an ganz klar gesagt und das weiß ich sehr zu schätzen. Ich habe aber in jedem Falle ligaunabhängig noch ein Jahr Vertrag. Meine Frau hat eine unbefristete Stelle, und wenn es bei mir und beim Verein hinhaut, hängen wir auf jeden Fall noch ein Jahr dran. Wenn ich im Sommer etwas anderes finde, kann ich aber den Verein verlassen. Wir gehen da sehr offen miteinander um.

Wie soll stellen Sie sich Ihr Leben nach dem Fußball vor? Sie haben Sport auf Lehramt studiert, wäre das eine Option?
Auf dem Schulhof sehe ich mich ehrlich gesagt momentan nicht. Wenn es etwas außerhalb des Fußballs sein müsste, dann schon eher Anlageberater. Ich beschäftige mich mit dem Thema Investment seit ich etwa 18 Jahre alt bin und kenne mich da ziemlich gut aus. Ich will aber unbedingt in der Welt des Fußballs bleiben, sehr gern als Trainer. Ich habe eine Lizenz auf UEFA-B-Level und dabei soll es nicht bleiben.

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