Sevilla, wir kommen!!!


Kreative Fassadengestaltung für Fortgeschrittene


Morgen (Mittwoch, 4.3., 21 Uhr) ist es endlich so weit: Real Sociedad kommt zum Halbfinal-Rückspiel der Copa del Rey nach Miranda de Ebro, ins zum Bersten gefüllte Estadio de Anduva. Flutlicht, Fritz-Walter-Wetter – Fußballherz, was willst du mehr?
Das 1:2 aus dem Hinspiel ist umbiegbar, da sind sich alle einig. Die Ergebnisse aus dem Achtelfinale gegen den FC Sevilla (3:1) und dem Viertelfinale gegen Villarreal (4:2) würden ausreichen. Warum also nicht auch gegen Real Sociedad?
Und während in der Stadt die Mirandés-Fahnen auf hunderten, ach was, tausenden von Balkonen im orkanartigen Wind der vergangenen Tage wehen, sind die meisten hier in der Stadt schon seit Tagen so aufgeregt, dass keiner auch nur irgendetwas ansatzweise Produktives auf die Kette bekommt. Ich versuche trotzdem, meine vor Vorfreude zitternden Tippfinger still zu halten und ein paar Facts und Hintergrundinfos in Form eines ABC aufs virtuelle Papier zu bringen:


A wie ausverkauft:
Ist natürlich das Estadio de Anduva mit seiner bescheidenen Kapazität von knapp über 5.700 Sitzplätzen, davon gut 1.000 ohne Überdachung. Allein aus San Sebastián gab es etwa 6.000 Bewerber für die etwas über 1.000 für Auswärtsfans reservierten Karten, die im Losverfahren unter den Dauerkarteninhabern vergeben wurden. Manch einer witterte da natürlich ein Geschäft:

Schnäppchen im Internet: 300 Tacken für einen Kuli und Karte fürs Halbfinal-Rückspiel umsonst dazu. So einfach kann man sich bei allen Dauerkartenbesitzern seines Clubs unbeliebt machen.

B wie Bundesliga:
Aus dem deutschen Oberhaus sind uns Mikel Merino und Alexander Isak von Real Sociedad bekannt, die sich mit eher bescheidenem Erfolg beim BVB versuchten. In der baskischen Küstenstadt lassen es beide allerdings so richtig krachen: Momentan Platz 6 für Real Sociedad in der Liga. Und im Pokal-Viertelfinale ächzte Real im Bernabéu mächtig unter der Offensivpower der Txuri-Urdin: Das Endergebnis von 3:4 aus Sicht der Königlichen entspricht dem Spielverlauf nur bedingt. Über ein 1:5 hätten sich Sergio Ramos und Colegas auch nicht beschweren dürfen.

C wie Cartuja:
Nach Sevilla, da wollen sie alle hin, Granada und Athletic Bilbao, Real Sociedad und Mirandés. Das Finale der Copa del Rey wurde für vier Jahre in das Estadio de la Cartuja in die andalusische Metropole vergeben. Das ehemalige Olympiastadion ist eine der wenigen tauglichen Arenen im Besitz der öffentlichen Hand, oder mit anderen Worten, es gehört keinem Club. So gibt es (vorerst) keine Querelen mehr darüber, welcher Verein seine Heimstätte für das Endspiel zur Verfügung stellen muss.

D wie Dauerkartenbesitzer:
Hat der CD Mirandés in den vergangenen Wochen in Scharen dazugewonnen. Liegt leider nicht wirklich daran, dass plötzlich Hunderte spontaner Neufans samstags um 12:00 Uhr oder sonntags um 21:00 Uhr ein Zweitligaspiel im heimischen Stadion verfolgen wollen, das es auch in jeder Bar im TV zu sehen gibt, sondern hat einen simpleren Grund: Nur als Dauerkartenbesitzer ist einem ein Ticket für das Halbfinalrückspiel sicher.

E wie Etat
L'Etat, c'est moi, das wusste bereits ein bekannter absolutistischer Herrscher. Der Etat, den Alfredo de Miguel, örtlicher Bestattungsunternehmer, Präsident und Mehrheitseigner des CD Mirandés, sein Eigen nennen darf, fällt allerdings eher bescheiden aus. Mit läppischen 7 Mio. Euro auf der Habensseite formte er mit Sportdirektor Aragón und Coach Iraola eine schlagkräftige Zweitligatruppe. Zum Vergleich: Der SC Preußen Münster schafft es derzeit mit nahezu identischem Budget gerade mal auf einen Abstiegsplatz in der 3. Liga. Halbfinalgegner Real Sociedad verfügt dieses Jahr übrigens über gute 85 Mio. Euro. Damit wäre die (monetäre) Kräfteverteilung klar.

F wie Flutlicht
Nicht ganz auf dem neuesten Stand der Technik im Estadio de Anduva. Vorsichtig ausgedrückt. Die schummrige Atmosphäre gefällt zwar den Stadionbesuchern, aber für moderne Fernsehanstalten ist die, wie soll ich sagen, etwas hellere Version des Halbdunkels eher suboptimal. Deshalb muss auf Geheiß der Liga eine komplett neue Anlage her. Kostenpunkt: 1 Mio. Euro. Etat, siehe oben. Mehr muss man dazu nicht sagen...

G wie Globetrotter
Álvaro Rey vom CD Mirandés ist der Weltenbummler des Vereins. Der technisch versierte Andalusier bringt es mit seinen 30 Jahren bereits auf 14 verschiedene Vereine in fünf Ländern, darunter Polen, Griechenland und Kanada. Fußballerisch am meisten beeindruckt hat ihn in seiner abwechslungsreichen Karriere bisher übrigens Michael Bradley, mit dem er zusammen beim FC Toronto in der MLS unter Vertrag stand, verriet er mir kürzlich in einem Gespräch. 

H wie holprig
Perfekte Ausrede für alle Edelfüßler Marke Ödegaard, Merino und Oyarzabal nach dem krachenden Halbfinalaus: Der Rasen war schlecht. Findet nicht nur Real Sociedad, sondern auch die Liga. Kostenpunkt für neuen Rasen (dann endlich mit Drainage): 0,5 Mio. Euro. 
Etat, siehe oben...

I wie Iraola
Andoni Iraola ist Coach des CD Mirandés und eine lebende Legende von Athletic Bilbao mit über 500 Ligaspielen für den baskischen Vorzeigeverein. Sollte Mirandés ins Finale einziehen, würde es ihm sicher in den Fingern bzw. Zehen jucken, sich selbst noch mal das Leibchen überzustreifen, um in seinem vierten Pokalfinale nach 2009, 2012 und 2015 endlich die Trophäe in die Höhe recken zu dürfen. Gebürtig stammt er übrigens aus Usurbil, nur wenige Minuten von San Sebastián entfernt.

J wie Jabatos
In Spanien ist der CD Mirandés auch als "Jabatos" bekannt, die Wildschweine. Die größte Fangruppierung sind die "Jóvenes Jabatos", die jungen Wildschweine. Sie sorgen hinter dem Tor auf der Tribuna Sur für mächtig Alarm mithilfe von Megafonen, Trommeln und ohrenbetäubendem Gedonner auf die Wellblechverkleidung. Bei dem Lärm und der physischen Nähe der Zuschauer zum Grün ist schon so manch einem gestandenen Erstligaprofi das Herz in die Hose gerutscht. Nicht wahr, Luuk de Jong?

K wie klatschnass
Werden aller Voraussicht nach handgezählte 1.084 Fans aus San Sebastián auf der Tribuna Norte. Überdachung? Fehlanzeige. Da haben es diejenigen, die keine Eintrittskarte ergattern konnten, fast besser. Sie können das Spiel auf Großleinwand in einer lauschigen Sporthalle verfolgen, die die Stadt Miranda de Ebro eigens herrichten lässt. Oder in einer der vielen Bars. Da kann man sich dann auch gleich die Niederlage schön trinken. Im Stadion geht das aufgrund des in Spanien herrschenden Alkoholverbots für Sportarenen nicht.

L wie Leihspieler
Hat der CD Mirandés in rauen Mengen. Zumeist aus Amateurmannschaften von Erstligisten, die bei den Jungs Potenzial für mehr erkennen, und sie erstmal für ein Jahr in Liga Zwei parken. Das ist der Fall bei Pferdelunge Antonio Sánchez (Mallorca), Flügelflitzer Enriq Franquesa (Villarreal) oder Sturmtank Matheus Aias (Watford). Die interessantesten drei in der Riege der Leihen heißen jedoch Modibo Sagnan, Jon Guridi und Martin Merquelanz. Die gehören nämlich keinem geringeren als Real Sociedad und werden aller Voraussicht nach auch im Sommer dahin zurückkehren. Eine "cláusula del miedo", eine "Angstklausel" gibt es in den Verträgen nicht, sie dürfen also gegen ihren Stammverein ran. Wenn sich das mal nicht rächt...

M wie Muffensausen
Bei den Profis von Real Sociedad handelt es sich anscheinend um etwas zarter besaitete Gemüter. Dieser Meinung scheint zumindest deren Trainer Imanol Aguacil zu sein. Nach dem 2:1 im Halbfinal-Hinspiel gab er zu Protokoll, der Empfang der eigenen Fans, die den Mannschaftsbus zu Tausenden entlang der Zufahrtsstraße zum Stadion begleitet hatten und einiges an Pyro aufboten, hätte seine Spieler auf dem Platz gehemmt. Auch aufgrund dieses zusätzlichen Drucks sei kein besseres Ergebnis herausgesprungen.
Angst vorm Support der eigenen Fans? Jagutäh...


N wie "nicht die feine baskische Art"
Martín Merquelanz ist eine der Entdeckungen dieser Saison und hat mit seiner Schnelligkeit und Vertikalität großen Anteil am Erfolg des CD Mirandés. Und er ist von Real Sociedad ausgeliehen. Medienberichten zufolge nahm der Verein aus der Küstenstadt kürzlich die Verhandlungen zur Vertragsverlängerung mit dem Spieler auf. Zwischen Hin- und Rückspiel des Halbfinals. Sollte das zutreffen, wäre das nicht die feine baskische Art. Merquelanz selbst scheint unbeeindruckt. Nach einer Verletzung ist er wieder fit und heiß darauf, seinen Stammverein aus dem Wettbewerb zu kegeln.

O/Ö wie Ödegaard
Norwegisches Zauberfüßchen, Leihgabe von Real Madrid auf Europa-Tour, auf dem Weg vom Wunderkind zum Mann. Bester skandinavischer Fußball-Export seit Zlatan? Möglich. Sehen wir ihn nächste Saison neben Toni Kroos? Ich denke schon. Hoffentlich nicht als frisch gebackenen Pokalsieger.

P wie Preise
Sind erstaunlich moderat. Gästefans zahlen 35 €, Dauerkartenbesitzer 25 €. Im letzten Halbfinale des Vereins 2012 gegen Athletic Bilbao musste man weit tiefer in die Tasche greifen: Mit zwischen 75 und 95 € (teils für Stehplätze!) ließ der damals noch drittklassige Verein es ordentlich in den Kassen klingeln. 


Kartenspiel: Kommt eine für Sevilla dazu?

Q wie Qué rico!
Rico, rico – lecker, lecker, das Halbzeit-Bocadillo. Auch nach vielen Jahren in Spanien ist es für mich immer wieder interessant anzusehen, wie jeder, aber wirklich jeder im weiten Rund mit dem Halbzeitpfiff sein belegtes Baguette auspackt und genüsslich vor sich hinmampft. Da die Stadionwurst hier nicht bekannt ist, bringt sich jeder seine eigene Verpflegung von zuhause mit. Eins muss man ihnen lassen: Essen, das können sie, die Spanier!

R wie Río
Spanisch für Fluss. Der Ebro fließt keine 100 m hinter dem Stadion gemächlich entlang. Pfeift ein Schiedsrichtergespann nicht nach dem Gusto des Publikums, wird den Unparteiischen häufig in Gesängen damit gedroht, sie im Fluss zu versenken. Auch wenn der Weg kurz ist: Es ist nicht überliefert, dass in der gut 90-jährigen Clubgeschichte den Gesängen bisher einmal Taten folgten.

S wie Streaming
Wer in Deutschland das Spiel verfolgen möchte, muss auf DAZN zurückgreifen. Der Streaming-Dienst hat sich die Rechte an der Copa del Rey für die nächsten drei Ausgaben gesichert. Wahrscheinlich hatte man nicht wirklich auf dem Zettel, dass ein in Deutschland weitgehend unbekannter Zweitligist bis ins Halbfinale vorstößt. Ein Clásico in der Vorschlussrunde hätte sicher in Deutschland für mehr "Share" gesorgt. Jetzt können sich die Zuschauer an diversen Underdogs erfreuen. Clásico war ja auch gerade erst.

T wie TV
Halbfinals und Finale sowie ausgesuchte interessante Spiele der vorherigen Runden sind in Spanien neben DAZN auch im Free-TV zu sehen. Gut für die Sender, nicht so prall für die Stimmung im Stadion. Im Sechzehntelfinale gegen Celta habe ich mich irgendwie allein gefühlt auf der Tribüne.

U wie unbesiegbar
CD Mirandés hat sein letztes Heimspiel am 24.8.2019 verloren, das war das allererste Saisonspiel. Gegen den Tabellenersten Cádiz. Keine ganz schlechte Bilanz für einen Aufsteiger mit Mini-Etat.

V wie victoria
Spanisch für Sieg. Kurioserweise ist Mirandés dieses Jahr noch kein Sieg in der 2. Liga gelungen. Die Bilanz der letzten 9 Partien: 8 Unentschieden und eine Niederlage. Die Bilanz in der Copa del Rey gegen Erstligisten dagegen liest sich besser: 4 Spiele, 3 Siege, eine Niederlage.

W wie Weltauswahl
Bis vor etwa zehn Jahren hatte quasi noch nie ein Ausländer für den CD Mirandés die Stiefel geschnürt. Bei unterklassigen Vereinen in Spanien keine Seltenheit. Dagegen wirkt der aktuelle Kader wie eine Weltauswahl. Spieler aus acht verschiedenen Nationen tragen das Trikot der "Rojillos", darunter Frankreich, Italien und Brasilien.

X wie RelaXen
Darf Real Sociedad nach dem letzten Ligaspiel gut anderthalb Tage länger als Mirandés. Die Basken schlugen Freitagabend Real Valladolid, während Mirandés dem FC Girona Sonntagmittag ein Unentschieden abrang. Ein Antrag des Zweitligisten, das Liga-Spiel vorzuverlegen, wurde aus unbekannten Gründen von LaLiga abgeschmettert. Nicht einmal der Verband als Copa-Ausrichter konnte daran etwas ändern. Sollte das Spiel in die Verlängerung gehen, kann die kürzere Erholungsphase durchaus den Ausschlag geben.

Y wie Youngster
Mit jungen Spielern ist der CD Mirandés zuhauf gesegnet. Grund: siehe Etat. Zu den Youngstern gehört auch der pfeilschnelle Linksfuß Martín Merquelanz. Fun Fact: Er hat in der REALE-Arena in San Sebastián mehr Spielzeit als Gegner angesammelt (90 Minuten im Halbfinal-Hinspiel mit Mirandés) als im Trikot von Real Sociedad. Bei seinem Ligadebut 2018 riss er sich nämlich in der ersten (!) Spielminute das Kreuzband beim Heimspiel gegen Éibar. Tragisch für ihn, ein Glücksfall für Mirandés. Ohne die schwere Verletzung wäre er hier wohl nie aufgeschlagen.

Z wie Zitronen
"Limones", spanisch für "Zitronen", lautet der Künstlername von Jesús Reguillos, dem Torsteher des CD Mirandés. Der Spätberufene (erstes Profispiel mit 32 Jahren) strahlt diese Saison große Sicherheit aus, auch wenn er mit dem Fuß nicht gerade, naja, ein ter Stegen ist. Offensichtlich macht er seine Sache aber so gut, dass ein begeisterter Twitter-User jubilierte: Wenn das Leben dir Limones gibt, stell ihn ins Tor...
 




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